Sunny (Band 1) | Taiyo Matsumoto
„Wenn man keine Eltern hat, dann macht sich auch niemand Sorgen um einen.“ sagt Megumu zu Haruo. Beide wohnen im Kinderheim „Star Kids“, einer kleinen Wohngruppe, einer Lebensgemeinschaft. Taiyo Matsumotos Epos Sunny ist auf 6 Bände angelegt. Erzählt wird in einzelnen, dezent und klug dramatisierten Geschichten, Cliffhanger braucht Sunny nicht. Schnell wächst einem das Ensemble ans Herz und wir erfahren immer mehr über das Leben der Kinder und Betreuer*innen. Matsumoto beschreibt den Alltag, Gespräche am Tisch, auf dem Schulweg, beim Einschlafen. Seine Kunst ist die Andeutung, der geduldige Blick, seine Figuren sind nicht clean, aber auch nicht spektakulär, sie öffnen sich erst langsam.
Japanische Manga sind besessen von jugendlichen Gruppen, vorzugsweisen in Schulklassen oder Sportvereinen. Dieser Mikrokosmos lässt sich wunderbar ausbreiten, das Drama des Heranwachsens kommt gleichsam natürlich hinzu. Auch in Sunny steht kein Held, keine Heldin im Mittelpunkt. Die unterschiedlichen Episoden lassen sich Zeit, alle Figuren zu entwickeln, die immer neuen Konstellationen zeigen die Komplexität, die Widersprüchlichkeit der einzelnen Kinder. Sogar Nebenfiguren, wie der scheinbar meist schlafende Schulleiter, haben ein Profil. Matsumoto nutzt hier natürlich die psychologische Kraft der Zeichnung, wie etwas in wenigen Strichen beschrieben wird, ist hier buchstäblich zu verstehen. Wobei die Ästhetik Matsumotos durchaus ausgefeilt und detailliert ist. Der Stil ist erdig, die Zeichnungen – wie oft bei Manga – bei den Personen typisierend, ein Effekt, der durch oft schräg gestellte Perspektiven verstärkt wird. Hintergründe, Tiere und besonders das titelgebende Auto sind realistisch dargestellt. Überblick, Totale gibt es selten. Durch diese Kombination zieht einen der Comic in die Geschichte hinein, schafft eine Atmosphäre, die auch ohne künstliche Effekte fesselt. Zwischendurch tauchen immer wieder Japanische Popsongs aus den 60er Jahren auf und eröffnen einen weiteren melancholischen Resonanzraum, dessen Bedeutung wir hier wohl nur erahnen können.
Nicht nur wegen der Rolle des Autos – ein Transportmittel der Sehnsucht – erinnert Sunny mitunter an „Tschick“. Die Inszenierung von Gruppenszenen lassen an Mikael Ross` Graphic Novel „Der Umfall“ denken, auch wegen der durchgehend spürbaren Empathie des Autors gegenüber diesen Außenseitern. Filme wie „Parasite“ und „Shoplifters“ fallen einem ein, auch sie beschäftigten sich mit dem Thema Vernachlässigung und feierten die Kraft der Gemeinschaft. Aber vor allem ist Sunny ein Manga, dessen Humanismus einen berührt, dessen brillante Dialoge einen immer wieder zum Lachen bringen und dessen faszinierende Zeichenkunst einen auf die nächsten Bände freuen lässt.
Erschienen bei Carlsen