Hexen Hexen

HexenHexen

von Penelope Bagieu

„Wenn sie Dich erwischen, wie Du um die Töpfe flitzt, schneiden sie dir die Kehle durch!“ „Okay?!“ „Na, ich wollte nur ehrlich sein.“ Für ein Kinderbuch klingt ein solcher Dialog sehr direkt. Aber Roald Dahl war es immer dran gelegen, „ehrlich“ zu sein. Das kunstvolle und mitreißende seiner Geschichten ist es, dass sie mit den Mitteln des Phantastischen darauf zielen, mit der Realität zurecht zu kommen. Hexen Hexen ist ein später Buch Dahls, es erschien 1983 und wurde 1990 verfilmt. Erzählt wird die Geschichte eines Waisenjungen, der mit Hilfe seiner energischen Großmutter und einer Freundin den Kampf gegen „echte Hexen“ aufnimmt. Die Hexen hassen Kinder und ihr Plan ist es, alle Kinder in Mäuse zu verwandeln. Zum Glück weiß Oma, woran man Hexen erkennt.

Für die französische Comiczeichnerin Penelope Bagieu (*1982) ist diese Vorlage wie geschaffen: Kritik an Konventionen, markante Charaktere und viel Raum für die eigene Imagination. Wie sie diesen Raum nutzt und darin eine mitunter fast atemlose Spannung erzeugt, das ist ein großes Vergnügen. In Deutschland wurde Bagieu mit ihrer Geschichte über die Sängerin Mama Cass bekannt, zuletzt erschien ihre Geschichtensammlung „Unerschrocken“. Darin geht es um historische Frauen, die sich gegen die Widerstände einer patriarchalen Gesellschaft durchgesetzt haben. In Frankreich ist Bagieu ein absoluter Superstar und eine wichtige feministische Stimme in der immer noch von Männern dominierten Comicszene. 

Wer sich als Zeichner*in mit Dahl auseinandersetzt steht immer im Schatten von Quentin Blake, dem Illustrator vieler Bücher Dahls. Die Französin tritt daraus mit den Mitteln des Comics mühelos hervor. Ihr Stil ist einerseits direkt und zupackend, dazu aber auch voller Details, die eine zweite, sozusagen visuelle Lektüre unbedingt empfehlenswert machen. Bagieu inszeniert die dramatischen Szenen, wie zum Beispiel eine Verfolgungsjagd in der Küche mit spektakulären Perspektivwechseln. Der Größenunterschied zwischen Menschen und Kindern (noch mal potenziert durch deren Verwandlung in Mäuse) hat sie sichtbar fasziniert. Das Grandhotel wird zu einer Riesenburg, zum Glück bietet die opulente Frisur der Oma ein sicheres Versteck.

Bagieu hat den Stoff behutsam bearbeitet, aus Bruno (dem anderen Kind) wird ein Mädchen und eine sehr dezente Liebesgeschichte beiläufig miterzählt. Die schrullige, kettenrauchende Oma bleibt lange undurchsichtig – um am Ende umso wärmer zu strahlen. Hexen Hexen ist eine Geschichte über das Verschwinden, mithin den Tod. Gegen den Verlust helfen nur Zusammenhalt und Tatkraft. Die wiederum hängen weder vom Alter noch von der Größe jedes Einzelnen ab. Die Kunst Roald Dahls und auch Penelope Bagieus besteht nicht zuletzt darin, dass diese Botschaft niemals kitschig erscheint, zu skurril sind die Charaktere, zu lakonisch die Dialoge, zu schnell das Tempo.

Erschienen im Reprodukt Verlag

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