„Neu übersetzt, stark gekürzt, erweitert und gezeichnet von Mahler“
„Ulysses“ von James Joyce ist vielleicht der erste moderne Roman der Weltliteratur. Die Odyssey seines Helden Leopold Bloom ereignet sich an einem Tag, an einem Ort und ist zugleich ein Kosmos an Literatur, Geschichte, Politik und Kunst. Jedes seiner Kapitel folgt einem anderen Sprachduktus, einer anderen Form. Der 1922 erstmals vollständig erschiene Roman ist reduziert in seinem Gegenstand – und vollkommen ausufernd in seiner Sprache.
Der österreichische Zeichner Nicolas Mahler nimmt sich gerne Klassiker vor. Alice im Wunderland, Thomas Bernhards „Alte Meister“, Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ hat der Wiener Zeichner in gerade mal 160 Seiten umgeformt – man möchte nicht sagen, es fehlt etwas. Keineswegs wendet er dabei ein „best-of“ -Verfahren an, auch sind seine Comics nicht Abiturienten zu empfehlen, die sich vor der Lektüre des Originalmaterials drücken wollen. Mahler ist die Begeisterung für die adaptierten Werke anzumerken. Seine Version verhält sich frei zur Vorlage, ist ihr aber unbedingt verpflichtet.
Auch beim Ulysses ist das in jeder Sequenz, in jeder Zeichnung, in jedem der reduzierten Striche zu spüren. Bei Mahler heißt der Held Wurmb. Der Ort: Wien. Das Datum bleibt der 16. Juni 1904. Wurmb ist, wie sein Vorbild Bloom, bei einer Zeitung angestellt und kümmert sich dort um die Anzeigen. Er zerschneidet und collagiert die Ausgabe des „Neuigkeits-Welt-Blatt“ vom 16. Juni 1904. Dort werden „Olmützer Quargel“ und „Hochprima Wiener Salami“ ebenso beworben wie eine zum Verkauf stehende Darmputzerei.
Diese Anzeigen nutzt Mahler als Pforte in das Welttheater Wien! Im Wien des großen Zeitungshassers Karl Kraus begegnet Wurmb den frühen Comicfiguren Krazy Kat, Popeye und Olivia. Er datiert deren Erscheinen historisch etwas vor und kennzeichnet so Zeitungen als einen entscheidenden Geburtstort des Comics. Der Comiczeichner Mahler zieht den schwarzen Hut Wurmbs vor diesen Quellen!
Was „Ulysses“ von Nicolas Mahler zu einem Meisterwerk macht, ist seine Umsetzung von Rhythmus und Sound des Joyceschen Romans. Die Musikalität dieses Comics ist verblüffend. Sie korrespondiert mit der immer noch erlebbaren Leistung der Vorlage, Klang, Struktur und Form des Denkens, des strömenden Bewusstseins so faszinierend dargestellt zu haben.
Natürlich ist „Ulysses“ von Nicolas Mahler auch unglaublich komisch, sein lakonischer Humor, sein souveräner Umgang mit Schweigen und Stillstand, sein Blick für´s Absurde. Aber Mahler geht hier formal weiter als in allen seinen bisherigen Comics, gerade in seinem Umgang mit Text, der immer auch visuell gedacht und entsprechend umgesetzt ist. Bis zum sehr finalen Ende.
Erschienen beim Suhrkamp Verlag (Besprechung von 2021)